KI, Kunst und Architektur - eine dekonstruierte Gemeinschaft?
Über die Ausstellung "SHIFT - KI und eine zukünftige Gemeinschaft" im Marta Herford
SHIFT stellt zur Schau: Den Wechsel, das Pendeln, die Weiter-Bewegungen zwischen Mensch und Technik, Kunst und Wissenschaft. Es geht um Übergang, es geht um Verschiebung.
Die Gruppenausstellung ist im aktuellen Wissenschaftsdiskurs verwurzelt und definiert sich mit betont interdisziplinärem und dialogischem Charakter zwischen KünstlerInnen und WissenschaftlerInnen, zwischen Marta Herford und Kunstmuseum Stuttgart und zwar in erster Linie als ein Projekt und nicht als „theoretische oder technische „Leistungsschau“: Die Werke neun internationaler Künstler:innen beziehungsweise Künstlergruppen fragen nach einer ethischen Verantwortung im Umgang mit KI und machen zugleich die vielfältigen inhaltlichen Zusammenhänge von KI mit den Mitteln der Kunst sinnlich erlebbar.“ So das Vorwort im gleichnamigen Ausstellungskatalog.(1)
Die Ausstellung versteht sich als eine Entdeckungsreise entlang des aktuell so brennenden Diskurses um die Zukunft der Gemeinschaft: „Inwiefern gleichen oder unterscheiden sich menschliche und künstliche Intelligenz voneinander? Wie verhält sich KI zu Konzepten von Vernunft, Freiheit und Verantwortung? Was ändert sich, wenn KI nicht nur intelligenter wird, sondern zunehmend auch biologisch eingebettet ist? Wo liegt das kritische Potenzial von KI? Und schließlich: Kann KI die Welt vielleicht sogar humaner machen?“(2)
In der dekonstruktivistischen Gebäudehülle aus der Feder des Architekten Frank O. Gehry spannen sich riesige Kabel zu Netzen, Zöpfen, Kokons, Trichtern, unzähligen und mannigfaltigen Raumeindrücken und Möglichkeiten: Videoarbeiten, Projektionen, Modelle und digitale Thesen behaupten sich gegeneinander und erzählen von konkreten Visionen oder visualisieren uncanny dreams der Maschinen.
Die Vielfalt der künstlerischen Positionen überlagern sich, erweitern einander und fordern mich in ihrer Lautstärke, Intensität, Komplexität und Aussagekraft. Es gibt lautere wie leisere Arbeiten, sogar Poesie lässt sich entdecken, auch etwas Nostalgie (umhüllt als Stereoskopie, für deren Betrachtung man auf eine Art Sonnenbrille zurückgreift, was doch immerhin bereits eine längst bekannte Größe des 3D Kinos ist). Auch gibt es kritische Aussagen, die im Kontrast zu einem möglicherweise freundlichen Blinzeln stehen. Und es gibt ein Naturerlebnis, auch wenn es streng genommen sein digital-technisches Raumabbild ist.
Kurzum: Nicht alles wirkt dystopisch, unheimlich oder futuristisch, und es wird deutlich, dass KI mit seinen Anwendungen wie ChatGPT, DallE2, Dreamstudio und Midjourney zwar innovativ aber dennoch auch schon ein Teil der digitalen Anwendungslandschaft auf Smartphone und Laptop geworden sind.
Es ist wie mit Gehrys Museumsarchitektur, deren innere und äußere Raumwirkung sich mit jedem Perspektivwechsel, mit jeder meiner Bewegungen neu ausformuliert. Um SHIFT in ihrer Gesamtheit zu verstehen braucht es genau dieses Hinsehen. Diesen neugierigen Blick. Ein Blick, der abtastet, befragt, Thesen aufstellt und verwirft, Kontexte erschließt und gleichzeitig Denkräume und Interpretationsebenen offenhält. Ein Blick, der forscht.
Doch wie immer geht es natürlich auch ganz anders, denn die Ausstellungstexte helfen beim Einstieg, verweisen gezielt und zutreffend auf Inhalte und Leitfragen der künstlerischen Positionen. Inwieweit die interessierte Person ihren eigenen Gedanken und Ableitungen folgen möchte, ob nun Google, Wikipedia oder ChatGPT ins Spiel kommen ist auch hier subjektiv.
„Steyerl gehört aktuell zu den international wichtigsten Positionen, wenn es um die Reflexion der gesellschaftlichen Rolle von Kunst und Museum geht, um das Experimentieren mit medialen Präsentationsformen und um die kritische Auseinandersetzung mit Daten und dem Einsatz von künstlicher Intelligenz.“ (3)
´"You may not be interested in the simulation, but the simulation is interested in you.” Dieser an Leo Trotzkis angelehnte Satz könnte so etwas wie der Leitspruch von Hito Steyerls Social Sim (2020) sein.´ So formuliert es Clemens Apprich.
Erlebenswert ist diese immersive, dichte Arbeit, und ganz offensichtlich ist sie darüber hinaus ein Black Cube im White Cube (4).
Oder ist die Ausstellung selbst der Black Cube? Am besten machst Du Dir ein eigenes Bild, denn, so oder so: Es bleibt spannend.
Credits
Die Ausstellung wurde gemeinschaftlich entwickelt vom Museum Marta Herford und dem Kunstmuseum Stuttgart.
Die Ausstellung läuft in Herford vom 17.06. bis zum 15.10.2023.
Direktorinnen: Kathleen Rahn (Marta Herford), Dr. Ulrike Groos (Kunstmuseum Stuttgart)
Kuratorisches Team: Roland Nachtigäller, Friederike Fast, Ann Kristin Kreisel, Dr. Eva-Marina Froitzheim und Alina Grehl
KünstlerInnen
Louisa Clement, Heather Dewey-Hagborg, Christoph Faulhaber, kennedy+swan, knowbotiq, Christian Kosmas Mayer, Philippe Parreno, Hito Steyerl und Jenna Sutela
Katalog
Publikation „SHIFT – KI und eine zukünftige Gemeinschaft“ mit Texten von Clemens Apprich, Rosi Braidotti, Jessica E. Edwards, Friederike Fast, Christoph Faulhaber, Eva-Marina Froitzheim, Alina Grehl, Ulrike Groos, N. Katherine Hayles, Hans Dieter Huber, Elizabeth E. Joh, Andreas Kaminski, Ann Kristin Kreisel, Anika Meier und Luciana Parisi und Kathleen Rahn. Herausgegeben von Marta Herford gGmbH und Kunstmuseum Stuttgart, Wienand Verlag, 2023
Quellen
(1) "SHIFT. KI und eine zukünftige Gemeinschaft", Kunstmuseum Stuttgart und Museum Marta Herford (Hg.), 2023, Köln, S. 8
(2) Ebenda, S. 14
(3) Ebenda, hierin der Beitrag „Meanwhile … Die Soziale Revolution“ auf S. 102 ff.
Clemens Appich ist Professor für Medientheorie an der Universität für Angewandte Kunst Wien.
(4) Nachzulesen in der Pressemitteilung der Kunstsammlung NRW vom 14.08.2020, in der die Direktorin Susanne Gaensheimer,
das Werk insbesondere auch in den Kontext zur musealen Institution setzt.
https://www.kunstsammlung.de/press/Medien-Mitteilung_Hito_Steyerl_14.8.2020.pdf
Fotos
ARTELIER ATMOSPHER, zum Teil aus o.a. Katalog
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